Technische Reproduzierbarkeit von Kunstwerken in Zeiten von NFTs

September 1, 2019
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September 1, 2019 Wilfing Peter

Filmwissenschaftliche Analyse – Bao (2019)

Recherche

Prolog

Fragestellung

Im Folgenden soll anhand einer rezeptionsorientierten Figurendeutung der Kurzfilm Bao mit seinem gleichnamigen Hauptprotagonisten analysiert werden. Dabei wird zunächst das heuristische Konzept der Uhr der Figur mit diesem Kurzfilm in Zusammenhang gebracht, um anschließend genauer auf die einzelnen Kategorien eingehen zu können. Es soll damit die Frage geklärt werden, mit welcher Intention die Figur Bao geschaffen wurde und was diese mit uns als Zuseher:innen machen soll.

Allgemeines

Bei Bao handelt es sich um einen Kurzfilm aus dem Hause Pixar, der zusammen mit dem Film Die Unglaublichen 2 in den Kinos gezeigt wurde. Im Laufe der Oscarverleihung 2019 wurde der Film mit dem Oscar in der Kategorie ‚Bester animierter Kurzfilm‘ ausgezeichnet (vgl. Wikipedia, o.A.).

Inhaltlich beschreibt das Werk ein Leben einer älteren Mutter, die aufgrund ihrer Einsamkeit und Sehnsucht nach ihrem erwachsenem Sohn ein Fantasiewesen erschafft, welches ihr verhelfen soll, all die verschiedenen Phasen des Aufwachsens eines Kindes erneut zu durchleben. Anfänglich scheinen die zwei unzertrennlich, jedoch ändert sich dies mit fortschreitendem Alter des Fantasiewesens Bao. Die verzweifelten Bemühungen der Mutter die Kontrolle über ihr Kind zu behalten, scheinen aussichtslos und so distanzieren sich die beiden immer mehr. Als Bao eines Abends seine Verlobte mit nach Hause bringt, wird die Mutter durch den Auszug ihres Kindes überrascht. Sie ist sichtlich überfordert mit der Situation und möchte ihr Kind mit aller Kraft bei sich behalten. Der Wunsch danach noch mehr Zeit mit ihrem Kind zu verbringen ist so groß, dass sie ihr Kind in Form einer Teigtasche kurzerhand aufisst. Der:die Zuseher:in wird zunächst noch im Unklaren gelassen, bis sich die Situation mit dem Besuch ihres wirklichen Sohnes auflöst. Bao stand sinnbildlich für den verlorenen Sohn, der sich schlussendlich für seine vergangenen Vergehen und fehlende Wertschätzung bei seiner Mutter entschuldigt.

Figurenanalyse

Die Uhr der Figur

Obwohl es bisher noch keine umfassende Theorie zur Klärung, Sensibilisierung oder Anregung einer Figur gibt, bietet die sogenannte Uhr der Figur eine vereinfachte Methode der Analyse an. Um eine solche Abhandlung vornehmen zu können, muss zuerst überprüft werden, ob es sich in dem jeweiligen Fall um eine Figur handelt oder nicht. In dem untersuchten Fall von Bao handelt es sich vordergründig um ein Wesen geschaffen aus Teigwaren, jedoch besitzt dieses eine Bewusstseinsfähigkeit, also die Fähigkeit zu mentalen Denkprozessen, die nur bei humanen Wesen anzutreffen ist. Hiermit unterscheidet sich Bao von nonhumanen Wesen, wie Tieren oder Robotern, die nicht als Figuren bezeichnet werden können (vgl. Eder, 2008: 131f.).

Um nun also die figurenbezogenen Reaktionen der Rezipienten:innen aufzugliedern unterscheidet die Uhr der Figur zwischen vier Aspekten bzw. Ebenen: diegetisch, artifiziell, symbolisch und symptomatisch. Obwohl der Schwerpunkt bei den meisten Figuren im Bereich des Artifiziellen liegt, also der Frage rund um Körperlichkeit, Psyche, Sozialität und Verhalten, so ist dies bei dem untersuchten Kurzfilm nicht der Fall. Bao hat seinen Schwerpunkt im Bereich der symbolischen Ebene, auf die in der folgenden rezeptionsorientierten Figurenanalyse neben den drei anderen Aspekten besonders eingegangen wird (vgl. Eder, 2008: 135).

 

Figuren als fiktive Wesen

Als erstes werden die Hauptfiguren als fiktive Wesen näher charakterisiert. Es ist notwendig, diese differenziert und nachvollziehbar zu beschreiben.

Die Mutter ist eine chinesisch stämmige ältere Dame, die in Toronto lebt. Sie leidet am Empty-Nest-Syndrom. Durch den Auszug ihres Sohnes entsteht eine Leere in ihr, die nur durch den Sohn wieder gefüllt werden kann. Dadurch wirkt sie sehr traurig und antriebslos. In ihrem Leben nimmt das Kochen einen sehr hohen Stellenwert ein, da sie dadurch ihre Liebe am besten ausdrücken kann und an bessere Zeiten erinnert wird.

Bao ist eine Teigtasche, die als Junge zum Leben erwacht und dient als Symbolbild für den verlorenen Sohn. Er wächst zu einem jungen Mann heran und entwickelt verschiedene Charakterzüge, die typisch sind für jemanden, der die Phasen des Erwachsenwerdens durchlebt. Diese Charakterzüge beginnen mit der Abhängigkeit von der Mutter, der Neugierde, dem jugendlichen Leichtsinn, der Abgrenzung gegenüber der Mutter bis hin zur Selbstständigkeit (vgl. Eder, 2008: 136ff.).

 

Figuren als Artefakte

Die Ebene der Artefakte beschäftigt sich mit der basalen Wahrnehmung von Bildern und Tönen, die dargestellt werden. Aufgrund der Tatsache eines vorliegenden Animationsfilmes, hat der Kurzfilm keine Ansprüche an Schauspieler:innen. Der Fokus wird gezielt auf die Rollen und handelnden Personen gelenkt, ohne dabei verfälscht zu werden, was bei Realverfilmungen oftmals durch die Besetzung auftritt. Daraus ergibt sich nämlich der Nachteil, dass der:die Zuseher:in den:die Schauspieler:in bereits mit etwaigen Charakterzügen oder Eigenheiten in Verbindung bringt.

Um die Informationen und vor allem Emotionen zu übermitteln, setzt Bao den Fokus auf die Mimik und Gestik, die über alle Landesgrenzen hinweg verständlich sind. Die Verteilung der Figuren-Informationen erfolgt hierbei gleichmäßig verteilt über die Dauer des Films, dargestellt durch kurze Clips aus typischen Alltagssituationen. Es wird ein Spannungsbogen angewendet, der sich zunächst mit den positiven-, anschließend mit den negativen- und schlussendlich wieder mit den positiven Figuren-Informationen Baos bzw. des zurückgekehrten Sohns beschäftigt. Aus Baos Sicht wirkt die persönliche Entwicklung relativ üblich für einen Jugendlichen, der in die Pubertät gelangt, sich von den Ansichten seiner Eltern entfernt und diese zurücklässt. Für den:die außenstehenden Rezipienten:in überwiegt nach der anfänglichen Sympathie zu Bao, das Unverständnis über seine Ignoranz und Rücksichtslosigkeit im Hauptteil. Dennoch gesteht sich Bao seine Fehltritte ein und versöhnt sich letztendlich nicht nur mit seinen Eltern, sondern auch mit dem:der Rezipienten:in. Betrachtet man nun diesen Charakter hinsichtlich seiner Artefakt- Eigenschaften, so ist Bao eine Mehrdimensionalität nicht abzustreiten. Auch die Einschätzung der dominanten Figurenkonzeption fällt bei Bao leicht und trifft auf den Mainstream-Realismus zu (vgl. Eder, 2008: 138–141).

 

Figuren im Kontext von Handlung, Konstellation, Symbolik und Symptomatik

Mit dem Umgang von Figuren als Symbolen und Symptomen ist es wichtig, die Figuren in Kontexte der fiktiven Welt mit ihrer Motivation und der Figurenkonstellation einzuordnen. Die Motivation dient als Schnittstelle zwischen der Figur und dem Plot, dadurch schreiben wir den Figuren Motive zu, für Handlungen, die sie tätigen. Durch die Motivation ist die Figur mit der Handlung verknüpft (vgl. Eder, 2008: 141).

Die Mutter leidet sehr darunter, dass ihr Sohn ausgezogen ist und sie scheinbar keinen Kontakt mehr zueinander haben. Zu Beginn des Kurzfilms kennt der:die Zuseher:in aber noch nicht den Auslöser für die Traurigkeit. Das ist dann auch der ursprüngliche Grund, warum plötzlich die Teigtasche zum Leben erweckt wird. Diese dient als Symbol für den verlorenen Sohn. Ab diesem Zeitpunkt lernt man die Motivation der Mutter zu verstehen. Sie durchlebt die typischen Phasen eines Elternteils und die Teigtasche die Etappen eines Kindes. So steht Bao auch für Pubertät, mittlere Adoleszenz und späte Adoleszenz. Das Ziel und Bedürfnis der Mutter ist es, ihren Sohn so gut es geht zu erziehen und ihn vor Gefahren der Außenwelt zu schützen. Im Gegensatz dazu hat Bao mit der Zeit andere Bedürfnisse. Er ist neugierig und möchte viele Erfahrungen auch ohne seine Mutter machen. Dadurch kommt es zu einem Mutter-Sohn Konflikt. Diese beiden Figuren zählen deshalb zu den Hauptfiguren des Filmplots und nehmen eine besondere Stellung in der Aufmerksamkeitshierarchie ein. Es gibt noch relevante Nebenfiguren wie den Vater und die Freundin von Bao. Der Vater dient zum Schluss als Helferfigur: als er seinen Sohn ins Schlafzimmer zur Mutter stößt, trägt er einen kleinen, aber wichtigen Teil zur Versöhnung bei. Die Freundin wird von der Mutter als Feindbild gesehen und steht für die Unabhängigkeit von Bao zu seinen Eltern. Aus diesem Grund kann man anfangs auch von einer Antagonistin sprechen, die sich aber zum Ende des Films ins Gegenteil wandelt (vgl. Familienorientierung, o .Ä.).

Warum die Mutter so traurig über den Auszug ihres Sohnes ist, ist nicht ganz klar, denn jeder Elternteil weiß, dass dieser Moment eines Tages eintreffen wird. Deswegen schreiben wir Mutter und Sohn einen Streit als Motiv vor, obwohl wir nicht wissen, was passiert ist. Wie von Newman (in Eder) beschrieben, gibt es bei Protagonisten:innen ein want – also ein klares Ziel, ein need, und einen key flaw. Im Falle von Baos Mutter könnte man diese drei Phänomene vereinen: want, need und key flaw sind allesamt der Wunsch nach dem Kontakt mit dem eigenen Sohn, der aber das Leben der Mutter so sehr bestimmt, dass er zu einem flaw wird. Durch die Figurenkonstellation wird klar, dass die Eigenschaften von Baos Mutter stark im Kontrast mit den Eigenschaften von Baos Vater stehen: Die Mutter ist sehr emotional und leidet stark, der Vater wiederum zeigt keinerlei Emotionen und man bekommt als Zuseher:in keine Einsicht in seine Gefühlslage (vgl. Eder, 2008: 141–144).

 

Imaginative Nähe und emotionale Anteilnahme

Der:Die Zuschauer:in hat eine äußere Beobachterperspektive auf die Figuren im Film und weiß somit durch die Informationsvorgabe mehr oder weniger über die Figuren (vgl. Eder, 2008: 144–145).

Im Film Bao können wir uns mit der Mutter identifizieren, da viele Menschen nachvollziehen können, warum sie so traurig über den Auszug ist (besonders wenn man davon ausgeht, dass kein Kontakt mehr besteht). Hier spricht man laut Eder von einer partiellen Identifikation. Besonders bei Müttern, die sich den Film ansehen, können ähnliche Gefühle wie bei der Figur hervorgerufen werden: man kann hier von Empathie sprechen, da Mitgefühl erzeugt wird. Das gleiche werden Jugendliche verspüren, wenn sie den jungen Bao in seinen verschiedenen Phasen erleben. Trotz allem liegt der empathische Fokus etwas mehr auf der Mutter. Die beiden Hauptfiguren können jüngere Zuschauergruppen zum Denken anregen und Fehler aufzeigen, wie man mit seinen Eltern umgeht. Dadurch wird dieser Film für das menschliche Sozialleben wichtig (vgl. Eder, 2008: 144–147).

Durch die bisher getätigten Annahmen über die Figuren, lässt sich nun genauer verstehen, wie der:die Zuschauer:in diese in emotionaler Hinsicht wahrnimmt. Die äußere Beobachtung und andere Perspektive des:der Zuschauers:in, lässt ihm mehr oder weniger über die Figuren erfahren. Es gibt mindestens drei Grundformen der Anteilnahme, welche als Emotionsauslöser dienen. Dazu gehören die objektive Einschätzung, subjektive Einschätzung und empathische Einschätzung (vgl. Eder, 2008: 144–147).

Epilog

Fazit

Dieser Kurzfilm von Pixar erzielt seine gewünschte Wirkung auf das Publikum. Er ist vollgepackt mit kleinen, charmanten Details und Symbolen. Dazu zählen zum Beispiel, wie bereits oben in der Analyse erwähnt, das Essen und die Teigtasche. Die Hauptfiguren sind stark charakterisiert und ausgearbeitet. Dadurch werden verschiedene Gefühle in den Zuschauern:innen geweckt, welche viele Personengruppen ansprechen und von jedem unterschiedlich interpretiert werden. Abschließend lässt sich sagen, dass man nicht unbedingt einen langen Film oder eine Serie benötigt, um sich mit Charakteren verbunden zu fühlen und zum Nachdenken angeregt zu werden. All diese Punkte zeigen auf, dass Bao seinen Oscar für den ‚Besten animierten Kurzfilm‘ mehr als verdient hat.

Literaturverzeichnis

Eder, Jens (2008): „Die Figur im Film: Grundlagen der Figurenanalyse“. Marburg: Schüren Verlag

Familienorientierung: Die drei Phasen des Jugendalters [http://cms.familienorientierung.at/speicher/2017/03/Phasen-1.pdf]. Letzter Zugriff: 19.09.2019.

Wikipedia: Bao (film) [URL: https://en.wikipedia.org/wiki/Bao_(film)]. Letzter Zugriff: 19.09.2019.

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